„Preisgünstig, aber gut – gibt’s sowas wirklich?“ ist eine Frage, die wir Gitarristen uns im Zeitalter der Billiggitarren und Versandhausmarken immer öfter stellen. Auf dem Papier sehen viele dieser supergünstigen Instrumente zum Anbeißen verlockend aus, aber wird da mehr versprochen, als zu den Niedrigpreisen wirklich gehalten werden kann?
Ich bin ein großer P-90-Fan, und stehe besonders auf die Junior-Modelle aus den 1950ern und 60ern des Hauses Gibson. Also beschloss ich „ins tiefe Wasser zu springen“, und einfach die Harley Benton DC-60 Junior von Thomann zu bestellen, um Genaueres heraus zu finden.
Die DC-60 Junior ist Harley Bentons Kopie einer Gibson SG Junior (oder TV, wenn sie weiß ist) aus den frühen Sechzigern. Je nach gewähltem Finish kostet dieses Modell zwischen 160 und 200 Euro.
Diese Harley Benton hat einen eingeleimten Hals und einen Korpus aus philippinischem Meranti (ein Mahagoni-ähnliches Holz).
Der Korpus der DC-60 Junior ist ca. 4 mm dicker als der des Originals. Harley Benton hat die Hörner ihres Modells auch leicht gegenüber dem Original modifiziert, um „Ärger“ mit Gibson Guitars zu vermeiden. Die klassische Pelham Blue Metallic-Lackierung ist sehr sauber ausgeführt.
Das Griffbrett der DC-60 Junior ist aus Amaranth – auch als Purple Heart bekannt – gefertigt. Es wirkt ab Werk etwas trocken.
Die 22 mittelgroßen Bünde sind sauber eingesetzt und gut nachbearbeitet. Die Gitarre war direkt aus dem Paket gut bespielbar. Der Griffbrettradius ist mit 350 mm/14 Zoll sehr Bending-freundlich.
Auf der Wirbelplatte finden sich anständig funktionierende Wilkinson-Stimmmechaniken mit weißen Plastikknöpfen im Vintagestil.
Die Volute – also die Verdickung am Übergang von der Kopfplatte zum eigentliche Hals – ist ein Gibson-Merkmal aus den Siebzigern, welches einem Abbrechen der Kopfplatte bei kleineren Stürzen vorbeugen soll.
Die Harley Benton DC-60 Junior bietet ein sehr sinnvolles Update als Standard:
Originale SG Juniors kamen die ersten zwei Jahre mit unkompensierten Wraparound-Brücken, und danach mit Wraparounds mit kleinen Stüfchen, die die Oktavreinheit voreingestellt haben. Die Oktavreinheit kann bei solchen Brücken nur ungefähr eingestellt werden, in dem man die Schrägstellung der Brücke mit den eingelassen Madenschrauben verändert.
Die Brücke dieses Harley Benton Modells ist eine wertige WSC-Partsland-Kopie einer Leo Quan Badass Brücke, die in den 1970ern gerade für Gibson Junior und Special Modelle entwickelt worden ist. Eine Badass-Brücke kombiniert die Vorteile einer Wraparound-Brücke (direkte Saitenansprache) mit den einzelnen Saitenreitern einer Gibson Tune-o-matic.
Einige andere Tester beklagen sich im Internet, dass diese Badass-Kopie unbequem scharfkantig unter der Hand liegt. Mir persönlich gefällt diese Brücke sehr gut, und ich habe keine Probleme mit dem Dämpfen.
„Junior“ bedeutet in der Gibson-Nomenklatur eine Elektrogitarre mit nur einem P-90-Tonabnehmer in Brückennähe.
Bei der DC-60 Junior handelt es sich um einen Roswell P-90 auf Basis von Alnico V Magneten. Der P-90 ist ein breiter, aber flacher Einspuler, der generell einen fetteren Sound anbietet, als man es zum Beispiel von einem typischen Stratocaster-Tonabnehmer gewohnt ist.
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Der Hals der Harley Benton DC-60 Junior liegt schön rund und vergleichsweise fett in der Hand. Das Halsprofil würde ein Gibson-Fan mit „1959er Profil“ bezeichnen. Einige bevorzugen auf SGs (und ihren Kopien) etwas flachere Hälse, aber mir gefällt’s; und für den Klang und das Sustain ist ein dickerer Hals auch gut.
Die Bespielbarkeit der DC-60 Junior ist Dank der guten Bundierung und brauchbaren Werkseinstellung „schnell“ und bequem.
Ein Minus erhält diese Gitarre aber doch von mir:
Durch einen marginal größeren Halswinkel ist der Tonabnehmer doch sehr weit von den Saiten entfernt (s. Bild weiter oben), was zu einem sehr dünnen und vergleichsweise leisen Output führt.
Ich habe, nachdem ich die Bilder für diesen Test gemacht hatte, den P-90 mit speziellen Unterlegern – sogenannten Shims – um 3,5 mm angehoben. Man bekommt solche Dogear-Shims im Fachhandel (z. B. Thomann), und der Einbau ist auch für Laien sehr einfach:
Man lockert (oder entfernt) zuerst die Saiten. Danach schraubt man den Tonabnehmer samt Kappe ab. Der Tonabnehmer wird dann durch den (oder die) Shim-Unterleger hindurch „gefädelt“, und zum Schluss wird der ganze Packen wieder an die Gitarre geschraubt.
Zumindest bei meiner DC-60 Junior waren die Schrauben für den P-90 sehr kurz, weshalb ich nach dem „Hochlegen“ längere Schrauben gleicher Dicke benutzen musste.
Wir hatten durch Zufall im Musikladen, in dem ich arbeite, eine echte 1964er Gibson SG TV (also eine weiße „Junior“) für ca. eine Woche zum Verkauf. Von der Bespielbarkeit war das Original etwas anders als die Billigkopie, weil die TV ein niedrigeres Halsprofil und flachere Bünde hatte. Klanglich allerdings kamen sich das Original und die Billigklampfe erstaunlich nahe – Dynamik, Biss und Wärme in perfekter Balance.
Im Fall der Harley Benton DC-60 Junior scheint die Gleichung „billig = gut“ aufzugehen.
Für sehr wenig Geld bietet einem die DC-60 Junior erstaunlich viel vom echten Charakter einer Gibson SG Junior. Der Klang und die Bespielbarkeit dieser Harley Benton geht absolut in Ordnung. Super!